Geschichte der Christuskirche

Geschichte

Die Anfänge der Kirchengemeinde

Die Anfänge der Kirchengemeinde

800 – plus minus.
So viele Männer, Frauen und Kinder zählte unsere Gemeinde vor 120 Jahren.
Das waren nicht gerade viele. Aber sie hatten einen Traum, ein Ziel: Sie wollten hier in Fulda eine eigene evangelische Kirche haben. Eine große Kirche. Und deren Turm, so steht es im Bauantrag, sollte auf den Zentimeter genau so hoch sein wie die benachbarte, katholische Stadtpfarrkirche. Was für ein Mut! Was für ein Gottvertrauen!

Davon können wir uns eine Scheibe abschneiden und mutig zu unserem Christsein stehen!

Das Evangelium klar, laut und rein

Die Anfänge des Protestantismus in der Reichsabtei Fulda - Ein Vortrag von Dr. Wolfgang Breul

Vor 2oo Jahren wurde die evangelische Gemeinde in Fulda gegründet. Dies wurde möglich durch das Ende der geistlichen Herrschaft im Jahr 18o3. Auf die damit verbundenen Veränderungen hat ein Fuldaer Chronist Ende des 19. Jahrhunderts einen wehmütigen Rückblick geworfen:

Fragen wir nun, welche Wirkungen die seit 1802 nacheinander eingetretene Regierungswechsel und gouvermentalen Veränderungen auf Fuldas Bevölkerung gehabt haben, so muss man mit Bedauern eine tiefgehende und weitgreifende Wandlung und Umgestaltung in deterius (zum Schlimmeren)des alten Fuldaer Volkes, wenigstens für die überwiegende Mehrheit desselben, constatiren. Das Herbeiziehen und Einführen so vieler fremder, dem Fuldaerthum durchaus entgegengesetzter Elemente (Oranier, Hessen, Preußen u.a.) einerseits, der Abgang und das Aussterben angesehener und einflußreicher Geschlechter und Familien oder auch einzelner Personen andererseits konnte an einem Völkchen, das sich nicht aus Bescheidenheit, vielmehr aus Selbstunterschätzung allen diesen "kultivierten" und "fortgeschrittenen" Eindrinqlingen gegenüber für inferior (rangniedriger) hält, nicht ohne nachhaltige Wirkung vorübergehen. ... Fuldas Volk ist anders geworden.

Dieses Zitat stammt aus der Ende des 19. Jahrhunderts abgefassten "chronica Fuldensis“ des Joseph Johannis. "Fuldas Volk ist anders geworden“ beklagt der Fuldaer Gymnasiallehrer mit Blick auf den großen Umbruch, der 1802/1803 in der Geschichte der altehrwürdigen Reichsabtei und des späteren Hochstifts eingetreten ist. Die Französische Revolution und ihre Folgen, das Ausgreifen Napoleons auf Europa hatte diese Entwicklung vorbereitet; das alte Römische Reich Deutscher Nation hatte mit dem Frieden von Luneville, und dem Reichsdeputationshauptschluss ein Ende gefunden. Fürstbischof Adalbert von Harstall (1788-1814) musste unter militärischem Druck seine politische Macht an den Erbprinzen Wilhlem Friedrich von Nassau-Oraien übergeben. Schon am 6. Dezember 1802 zog der junge Fürst unter dem Jubel der Bevölkerung in Fulda ein. Was folgte, hat Berthold Jäger knapp und treffend zusammen gefasst: „Der Übergang war schmerzvoll: Das Benediktinerkloster wurde aufgehoben, ebenso die Stifte und Propsteien, die Universität "vorläufig suspendiert" - das Provisorium dauert bis heute - das Päpstliche Seminar in eine Kaserne umgewandelt, das Kapuzinerkloster in ein Landkrankenhaus. Der Stadt- und Landesherr war nicht mehr katholisch - erstmals entstand eine evangelische Kirchengemeinde."

Vor genau 2oo Jahren also wurde die Evangelische Gemeinde In Fulda mit einem feierlichen Gottesdienst gegründet - genauer muss man sagen: wieder gegründet. Denn die bunt gemischte Gemeinde des Jahres l8o3 aus einheimischen evangelischen Christen und den zugezogenen Soldaten- und Beamtenfamilien konnte auf eine ältere Tradition zurückblicken. Die evangelische Kirche in Fulda ist älter als 2oo Jahre. Schon lange vor der Wiederzulassung der evangelischen Gemeinde gab es hier im Jahrhundert der Reformation eine große Zahl von Anhängern Luthers; mehr noch: Im 16. Jahrhundert war Fulda einige Jahrzehnte lang eine überwiegend evangelische Stadt.

Auch wenn die Geschichte der evangelischen Kirche als Folge der katholischen Konfessionalisierung der Reichsabtei Fulda Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts für fast 2oo Jahre unterbrochen wurde, verdienen doch die Anfänge evangelischen Christentums in Fulda eine Erinnerung. lch werde in drei Episoden von diesen Anfängen berichten. (1) zunächst von den ersten evangelischen Predigern in der alten Residenzstadt, ihrer Prägung und ihren Anliegen, (2) dann vom Bauernaufstand in der Reichsabtei, in dem schon einmal die geistliche Herrschaft über die Reichsabtei beendet wurde, und schließlich (3) von dem ersten Fuldaer Abt der Reformationszeit, dessen Tragik es war, dass er gar kein Abt sein wollte. Zuvor aber sollen in wenigen Strichen die Verhältnisse der Reichsabtei Fulda am Vorabend der Reformation skizziert werden.

1. Die Reichsabtei Fulda zu Beginn des 16. Jahrhunderts

Das Amt des Abtes von Fulda vereinigte bis zum Ende des Alten Reiches l8o3 weltliche Herrschaft und geistliches Amt in einer Person. Die Anfänge dieser Verbindung bildeten sich schon wenige Jahrzehnte nach Gründung des Klosters durch den Bonifatiusschüler Sturmi im Jahr 744 aus. 774 unterstellte sich das Kloster mit seinen Besitzungen dem Schutz des Kaisers, wofür es im Gegenzug zu militärischen und zivilen Diensten für den Herrscher verpflichtet war. So nahm der Abt von Fulda politische und rechtliche Aufgaben und Kompetenzen wahr, aus denen sich über Jahrhundert in einem komplizierten und keineswegs geradlinigen Prozess ein weltliches Territorium mittlerer Größe entwickelte, an dessen Spitze eine geistliche Person, der Abt, und eine geistliche Körperschaft, das Kapitel, standen. Jedoch beanspruchten auch der Fuldaer Adel und die zum Gebiet der Reichsabtei gehörigen Städte eine Mitsprache an der Regentschaft. Ähnlich wie die benachbarte Reichsabtei Hersfeld musste sich Fulda im regionalen Kräftespiel gegen kaum zu unterschätzende Nachbarherrschaften wie die Landgrafschaft Hessen, das Erzbistum Mainz und das Bistum Würzburg behaupten.

Anders als den weltlichen Territorien fehlte Fulda wie den übrigen geistlichen Staaten die dynastische Erbfolge, die eine gewisse Dauerhaftigkeit der Herrschaft sichern konnte. Jede Vakanz des Fuldaer Abtsstuhls bedeutete das Risiko einer Auseinandersetzung um die Nachfolge, die ein Eingreifen auswärtiger Fürsten zum Nachteil der Reichsabtei nach sich ziehen konnte. ln Fulda begegnete man diesem Risiko nicht selten, indem man frühzeitig einen Nachfolger bestimmte, einen sogenannten Koadjutor, der noch zu Lebzeiten des Abtes an der Regierung beteiligt wurde. So hatte der seit 1472 erfolgreich regierende Abt Johann ll. von Henneberg seine Regentschaft 1469 als Koadjutor begonnen. Nach Über dreieinhalb Jahrzehnten Herrschaft wurde 15o7 Hartmann Burggraf von Kirchberg zum Koadjutor mit dem Recht zur Nachfolge bestimmt. Er war ein angesehener Jurist und Förderer des Humanismus.

Trotz seiner diplomatischen Erfahrungen führte der neue Koadjutor und Abt (ab 1513) die Reichsabtei Fulda zu Beginn des 16. Jahrhunderts in eine ihrer schwersten Krisen. ln einer günstigen politischen Situation erlangte Hartmann von Kirchberg die Zustimmung von Papst und Kaiser, die benachbarte Reichsabtei Hersfeld mit dem Einverständnis des dortigen Abts und seines Kapitels in die Fuldaer zu inkorporieren. Fulda wäre damit zu einer beachtlichen regionalen politischen Größe aufgestiegen. Doch scheiterte das Vorhaben -vor allem am Widerstand der Stadt Hersfeld und der Landgrafenwitwe Anna von Hessen. Auf der Suche nach einem Bündnispartner für die Durchsetzung seiner Ansprüche auf die benachbarte Reichsabtei beging der neue Abt den Fehler, Graf Wilhelm von Henneberg für seine Unterstützung einem von dessen Söhnen die Koadjutorenposition in Fulda in Aussicht zu stellen. Das Fuldaer Kapitel jedoch rebellierte gegen diesen Vorschlag. Ohnehin unzufrieden mit der aufwendigen Amtsführung des Kirchberger Burggrafen nutzte es diese Gelegenheit, um gegen ihn vorzugehen. Bei einem Landtag, der Versammlung von Vertretern des Adels, der Städte und des Kapitels der Reichsabtei, wurde Abt Hartman von Kirchberg im Februar 1516 derart unter Druck gesetzt, dass er nachts heimlich aus Fulda floh. Damit begann ein fünfjähriger Konflikt um die Herrschaft in der Reichsabtei Fulda. Auf der einen Seite stand das Kapitel, das wenige Monate. später Johann von Henneberg, den zwölfjährigen Sohn Graf Wilhelms, zum künftigen Koadjutor bestimmte. Diese Entscheidung bot die Aussicht, das alte Bündnis der Reichsabtei mit der Grafschaft Henneberg zu erneuern und versprach zudem dem Kapitel größeren Einfluss auf die Fuldaer Politik. Auf der anderen Seite stand Hartmann von Kirchberg, der sich mit seiner Widersacherin Anna von Hessen einließ, um nach Fulda zurückzukehren, und dafür die Fuldaer Rechte auf die Reichsabtei Hersfeld preisgab. Nach Drohgebärden und Säbelrasseln beider Seiten, nach zahllosen Verhandlungsrunden und mehrfachen Gesandtschaften zum Kaiserhof gelang es schließlich im Frühjahr 1521 eine Lösung der Herrschaftskrise in Fulda zu finden. Hartmann von Kirchberg blieb nur mehr nominell Abt der Reichsabtei, tatsächlich übte Johann lll. von Henneberg als Koadjutor gemeinsam mit dem Kapitel die Regentschaft in Fulda aus .Er kam im September 1521 in ein finanziell erschöpftes und politisch destabilisiertes geistliches Fürstentum.

2. Die Anfänge der evangelischen Bewegung in Fulda und benachbarten Orten

Kurz bevor der Henneberger Grafensohn die Herrschaft in Fulda antrat, waren zwei Angehörige des angesehenen Erfurter Humanistenkreises in die Residenzstadt gekommen. Beide hatten Wurzeln in Fulda. AdamKrafft war der Sohn eines früheren Ratsherren und Bürgermeisters, Crotus Rubeanus; der Verfasser der berühmten 'Dunkelmännerbriefe', hatte schon einige Jahre zuvor an de Fuldaer Stiftsschule unterrichtet. Der Humanismus war in jenen Jahren die führende geistige Bewegung, die insbesondere an den Fürstenhöfen und in den Führungsschichten der großen Städte Sympathien und Unterstützung fand. Er wollte nach antikem-Vorbild die sprachlichen und moralischen Fähigkeiten des Menschen verbessern. An der Erfurter Universität hatten führende Humanisten eine Gemeinschaft gebildet, die sich insbesondere mit den Schriften des überragenden Gelehrten jener Zeit, Erasmus von Rotterdam, auseinandersetzte. Schon sehr früh wurde dieser Kreis mit Martin Luthers Ablasskritik und neuer Theologie bekannt. Die Erfurter Humanisten sympathisierten mit seinen ldeen und suchten Erasmus für die Unterstützung des Wittenberger Augustinermönchs zugewinnen. Auch Crotus Rubeanus und Adam Krafft ,die zum engeren Erfurter Humanistenkreis zu zählen sind, waren entscheidend durch Erasmus und Luther geprägt worden. In Erfurt ebenso wie in Fulda hat der Humanismus der evangelischen Predigt den Weg bereitet. Krafft übernahm in Fulda zunächst die Leitung der Stiftsschule, doch schon im Sommer 1522 hatte er die vom Fuldaer Abt bzw. Koadjutor zu besetzende wichtige Prädikatur an der Fuldaer Stadtpfarrkirche inne. Mit großer Wahrscheinlichkeit pflegten beide gute Beziehungen zu Humanisten und (späteren)evangelischen Predigern im Fuldaer Umfeld, so beispielsweise zu Balthasar Raidt (Altarpriester an der Stadtpfarrkirche und in Vacha), Georg Witzel (Altarpriester in Vacha) und Melchior Rinck (Humanist, evangelischer Prediger und späterer Täuferführer im benachbarten Hersfeld).

Adam Krafft begann vermutlich bald nach Antritt der Fuldaer Prädikatur im Sinne Luthers zu predigen, schnell fand der Fuldaer Bürgersohn damit große Resonanz in der Bevölkerung, wie der altgläubige Chronist Apollo von Vilbel schildert. Aus dessen Bericht lassen sich wesentliche Elemente der frühen evangelischen Predigt in Fulda erkennen. Demnach hat Krafft (1) gegen die zahllosen gestifteten Messen gepredigt, mit denen nach mittelalterlicher Vorstellung für das Heil der Stifter und das Verstorbener regelmäßig Messen gelesen wurden, für das die Priester Geld aus den Zinsen eines Kapitalstocks erhielten. (2) Die evangelische Predigt von der Kanzel der Fuldaer Stadtpfarrkirche richtete sich im Einklang mit der frühreformatorischen Predigt insgesamt gegen Kloster und Mönchtum und forderte ihre Abschaffung. (3) Wie sein Fuldaer Kollege Balthasar Raidt scheint Krafft auch die Pflicht zur Ehelosigkeit der Mönche, Nonnen und Geistlichen angegriffen zu haben. Der Zölibat insbesondere der Priester war in den frühen Reformationsjahren eines der umstrittensten und zugleich riskantesten Konfliktthemen, da hier direkte Sanktionen durch die kirchllche Obrigkeit drohten. So mussten denn auch die evangelischen Prediqer Georg Witzel und Balthasar Raidt wegen ihrer Heiratsabsichten die Reichsabtei verlassen. lm benachbarten Hersfeld hatte der Streit um diese Frage Ende 1523 zum Sturm auf die Häuser von Priestern geführt, die im Konkubinat lebten. Auch im nahen Eisenach und im benachbarten Würzburg beschäftigte diese Frage die Gemüter.

Der Fuldaer Koadjutor Johann von Henneberg dürfte anfangs der neuen Predigt nicht abgeneigt gewesen sein, da er selbst mit dem Humanismus sympathisierte. Noch vor dem Bauernkrieg aber kam es zur Verdrängung der evangelischen Prediger. Nach Georg Witzel und Balthasar Raidt musste Anfang 1525 auch der angesehene Adam Krafft Fulda verlassen. Einzig Johannes Kempach im damals zur Reichsabteil Fulda gehörenden Hammelburg konnte sich trotz eines Versuchs, ihn aus dem Amt zu drängen, bis 1526 halten. Da es somit im Norden der Reichsabtei seit Anfang 1525 keinen gemäßigten evangelischen Prediger mehr gab, strömten die Fuldaer Bürger in großer Zahl ins zwölf Kilomenter entfernte Dörfchen Dipperz, wo ein uns namentlich nicht bekannter Prediger eine radikale Fassung der reformatorischen Botschaft von der Kanzel verkündigte.

3. Der Aufstand der Bauern und Bürger und seine Folgen

Schon vor dem Bauernaufstand standen in Fulda die Zeichen auf Sturm. Anfang Februar 1525 zog wahrscheinlich Thomas Müntzer auf seinem Weg nach Mühlhausen durch Fulda und erregte am 5.Februar durch eine Predigt erhebliches Aufsehen. Er wurde im Fuldaer Turm inhaftiert - jedoch ohne erkannt zu werden. So kam er einige Tage später wieder frei und zog nach Mühlhausen, wo er zum Anführer des Thüringer Bauernaufstands wurde. Der schon im Herbst 1524 im Südwesten Deutschlands entstandene Bauernaufstand breitete sich im Frühjahr 1525 nach Norden aus. Mitte April erreichte er die Reichsabtei Fulda. Dort brach binnen weniger Tage die geistliche Herrschaft in sich zusammen. Am Karsamstag (15.April)waren Stimmen in Fulda zu hören, dass die „evangelischen Bauern" nicht erst nach Fulda kommen müssten, man wolle ihnen vielmehr entgegenziehen und sie unterstützen. Am Ostersonntag zog eine große Zahl von Fuldaer Bürgern mit Frauen und Kindern - die Quelle spricht von über 6oo Personen - nach Dipperz zum Gottesdienst. Die dortige Osterpredigt gab den Anstoß zum Aufbegehren. Bei ihrer Rückkehr nach Fulda störte der bewaffnete Zug die festliche Ostermesse in der Stadtpfarrkirche. Am Abend gaben die Aufständischen mit Geschützfeuer den umliegenden Dörfern das Zeichen zum Beginn der Erhebung. Am frühen Montagmorgen verließ der Koadjutor das Schloss mit einigen Getreuen durch einen Seitenausgang und begab sich nach Burghaun. Auch die meisten Angehörigen des Kapitels flohen.

Die Stadt war in der Hand der Aufständischen, die innerhalb von 24 Stunden das Regiment durch einen Ausschuss von Vertreten aus den Stadtvierteln übernahmen. Sie formulierten ein Programm von acht Artikeln, die neben der Annahme der bekannten "Zwölf Artikel“ der Bauernschaft (formuliert von Sebastian Lotzer und Christoph Schappeler) zuoberst einen ,evangelischen Prediger oder Kaplan" forderten, der "das Evangelium lauter und klar ohne alle menschlichen Zusätze« predigen sollte. Adam Krafft war durch den Koadjutor Johann von Henneberg (!)von seiner neuen Predigtstelle in Hersfeld nach Fulda gerufen worden; er traf aber erst ein, als der Aufstand bereits in vollem Gange war. Ganz im Sinne Luthers forderte Krafft in seiner Fuldaer Predigt seine Landsleute auf, sich nicht um „äußerliche Freiheit“ zu kümmern, sondern als "Bürger im Himmel“ auf Gewalt und Streit zu verzichten. Diese Botschaft war jedoch nicht mehr im Sinne der "Hauptleute" des Aufstands; sie forderten Krafft auf, sich „wegzumachen". Als er nach Hersfeld zurückkehrte, hatten sich auch dort schon Bürger und Bauern gegen die geistliche Herrschaft erhoben. Binnen weniger Tage war der ganze osthessische und westthüringische Raum von der Aufstandsbewegung erfasst worden. Johann von Henneberg sah keine Möglichkeit mehr, Truppen für seine Niederschlagung zusammenzuziehen.

Landgraf Philipp von Hessen gelang es, durch eine schnelle Reaktion ein Übergreifen auf seine Herrschaft zu verhindern. Er zog mit wenigen Truppen nach Alsfeld und rückte schließlich am 25. April - nachdem er eiligst Truppen zusammengezogen hatte - gegen das ebenfalls vom Aufstand erfasste Hersfeld vor und forderte die Stadt auf, sich in seine "Gnade oder Ungnade zu übergeben, d.h. zur bedingungslosen Aufgabe. Obwohl aus Fulda ein 4ooo-Mann starker Bauernhaufen zur Unterstützung nach Hersfeld gekommen war, setzten sich in der Stadt schließlich diejenigen durch, die sich dem Landgrafen ausliefern wollten. Am 28. April nahm Philipp von Hessen vor den Toren Hersfelds die Stadtschlüssel in Empfang und zog widerstandslos in die Stadt ein.

In Fulda lagen die Verhältnisse anders. Hier hatte der Koadjutor angesichts der Ausweglosigkeit seiner Situation Verhandlungen mit den Aufständischen aufgenommen. Er beging den Fehler, in eigener Person nach Fulda zurückzukehren, um eine Einigung zu erreichen. Doch in der Stadt befand er sich unter Bewachung, die Hauptleute der Aufständischen zeigten sich kompromisslos und die Zusagen, die sie Johann von Henneberg vor seinem Einzug in Fulda gegeben hatten, hielten sie nicht ein. Von dem Fuldaer Uhrmacher Hans Dahlhopf, einem der später hingerichteten Anführer der Erhebung, wird berichtet, er habe zum Koadjutor und anderen wiederholt gesagt: "lch bin ein Herr und man muss tun, was ich will; sitze hier auf der Bank und gewinne Schlösser und Städte." Johann von Henneberg musste schließlich in die Anerkennung der o.g. „Zwölf Artikel“ der Bauernschaft und weiteren Beschwerdeartikel, die in Fulda formuliert worden waren, zustimmen. Vermutlich handelt es sich um eine erweiterte Fassung der schon erwähnten acht Fuldaer Artikel. Der Koadjutor willigte am 22. April ein, sofern diese Artikel als "christlich erachten und beständig angesehen werden können". Der wichtigste Punkt der Übereinkunft war Johanns Verzicht auf den geistlichen Titel. Der Fuldaer Herrscher wird in der betreffenden Urkunde nur mehr als „Fürst in den Buchen“, als weltlicher Herrscher des Fuldaer Gebiets bezeichnet. Während der Verhandlungen war der geistliche Titel „Koadjutor“ von den Aufständischen als „Kuhhäuter“ verspottet worden. Wie anderenorts auch richtete sich die Erhebbung der Bauern und Bürger wesentlich gegen die geistliche Herrschaft; viele Klöster und Kirchen wurden angegriffen und verwüstet – so auch in Fulda.

Nach der Einnahme Hersfelds durch den Landgrafen setzten in Fulda hektische Bemühungen um die Unterstützung durch andere Bauernhaufen in der Nachbarschaft ein - letztlich erfolglos. Zugleich wurde Johannes von Henne-berg - trotz des großen Misstrauens, das die Aufständischen gegen ihn hegten - erlaubt, mit dem Landgrafen Kontakt aufzunehmen. Philipp von Hessen hatte jedoch Nachrichten erhalten, nach denen die Fuldaer noch immer für den Aufstand warben, sogar innerhalb der Landgrafschaft. So zeigte er sich von den Friedensbotschaften des Koadjutors ebenso wie von einer Gesandtschaft des Fuldaer Stadtrates unbeeindruckt. Am 1. Mai sandte er Stadt und Landschaft zu Fulda eine Kriegserklärung zu. Beim Vorrücken nach Fulda stieß am 3. Mai Johann von Henneberg zum Tross des Landgrafen. In Gesprächen zwischen ihm, Landgraf Philipp und seinen Vertretern kam man einer Einigung recht nahe. Doch als der hessische Zug beim Vormarsch auf dem Fuldaer Frauenberg etwa 4000 Bürger und Bauern in strategisch günstiger Position und in Schlachtordnung erspähten, beendete Philipp die Gespräche; Johann von Henneberg wurde lediglich gestattet, eine Warnung an die Fuldaer Untertanen zu richten, auf Widerstand gegen die hessischen Truppen zu verzichten. Trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit hatten die geübten Reisigen des Landgrafen leichtes Spiel. Vor den heranrückenden Reitern flohen die Aufständischen in die Stadt. Die hessischen Truppen setzten nach, besetzten den Stiftsbezirk und die Vorstadt im ersten Anlauf, wobei „etliche darin erstochen“ wurden. Schließlich konnten sie auch durch ein Tor in die Stadt eindringen, während die Aufständischen auf der anderen Seite zu entweichen suchten. Weit über einhundert Opfer forderte der Kampf auf Fuldaer Seite, während der Landgraf lediglich einen Fußknecht verlor. Mehr als 1500 Bauern und Bürger wurden festgenommen und im Schlossgraben drei Tage unter unwürdigen Umständen gefangen gehalten. Die Anführer wurden unter Folter verhört und vier von ihnen hingerichtet, darunter der Uhrmacher Hans Dahlhopf und er Pfarrer von Dipperz. Mit der Einnahme Fuldas war der Bauernaufstand in Osthessen im wesentlichen beendet, der Landgrag zog weiter nach Thüringen, um seinen sächsischen Verbündeten zu Hilfe zu kommen.

„Man darf sich dort nicht freuen, wo der Landgraf hinkommt. wer seiner nicht bedarf, lässt ihn wohl lieber daheim“. Diese ironische Äußerung des Henneberger Amtmanns Tham von Herda spiegelt treffend die Situation Johann von Hennebergs und des Fuldaer Kapitels nach dem Bauernkrieg. Ohne die Hilfe des Landgrafen, dem es dank seiner Finanzkraft und der wirksamen Arbeit seiner Räte gelang, schnell Truppen zum Schutz der eigenen Herrschaft und benachbarter Territorien zusammenzuziehen, hätte der Fuldaer Koadjutor kaum so schnell in seine Herrschaft zurückkehren können. Doch die hessische Hilfe hatte einen hohen Preis. ln einem mit Johann von Henneberg und einigen Angehörigen des Kapitels ausgehandelten Vertrag wurden der Landgrafschaft weitreichende Zugeständnisse gemacht: Kleinere Fuldaer Gebiete gingen dauerhaft (Salmünster, Stolzenberg) oder auf lange Zeit (der Fuldaer Teil Vachas) an Hessen. Eine Entschädigung und eine Brandschatzung in Höhe von insgesamt 19.ooo Gulden sollte gezahlt werden. ln Fulda wurde ein Schultheiß eingesetzt, der auf die Wahrung der hessischen Rechte zu achten hatte. Vor allem aber sollte sich die Reichsabtei gegenüber der Landgrafschaft zur ewigen Dienstbarkeit verpflichten. Damit wäre sie ähnlich wie die Reichsabtei Hersfeld knapp hundert Jahre zuvor (1432) in dauerhafte Abhängigkeit von Hessen geraten; Fulda hätte damit seine politische Selbständigkeit auf Dauer verloren.

Johann von Henneberg hat vermutlich in das Vertragswerk eingewilligt. Der Sprecher des Kapitels, Dechant Apollo von Vilbel, konnte sich jedoch der für die lnkraftsetzung nötigen Siegelung entziehen. ln einem am 8. Mai ausgestellten Revers erklärte der Dechant, das große Siegel des Kapitels vergraben zu haben und derzeit nicht an es heranzukönnen. Sobald es wieder in seinen Händen sei, wolle er den Vertrag siegeln. Dazu ist es jedoch nie gekommen. Nachdem der Großteil des hessischen Trosses weitergezogen war, blieb der Vertrag ohne die Zustimmung des Fuldaer Kapitels und des Fuldaer Adels. Ein längeres diplomatisches und militärisches Nachspiel bahnte sich an. Landgraf Philipp besetzte die Reichsabtei Fulda Anfang 1526 noch einmal, um seine Forderungen durchzusetzen. Dank der geschickten Fuldaer Diplomatie gelang es jedoch, die dauerhafte Abhängigkeit von Hessen abzuwenden, auch wenn Fulda dafür einen hohen Preis in Gestalt einer Reparationszahlung zu leisten hatte. Die Reichsabtei konnte ihre politische Selbständigkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn Hessen bis zu Beginn des 19.Jahrhunderts bewahren.

4. Mönchskutte und Bischofsgewand

Kirche und Klerus waren nicht erst durch die Reformation in die Kritik geraten. Schon der Humanismus hatte mit spitzer Feder insbesondere die Träger von Mönchskutten und Priestergewändern ins Visier genommen. Erasmus von Rotterdam hatte in seinem viel gelesenen „Lob der Torheit“ (1509) insbesondere Kleriker und Klosterbewohner mit felner Spott überzogen. Solche Kritik der Humanisten blieb nicht ohne Wirkung; vermutlich hat sie auch Johann von Henneberg beeinflusst. Er hatte an den Universitäten Mainz und Paris studiert, an denen der Humanismus recht starken Einfluss hatte. 1516, als sich Wilhelm von Henneberg darum bemühte, den Fuldaer Abtsstuhl für seinen Sohn zu sichern, wurden Gerüchte laut, dass der dreizehnjährige Knabe gar nicht Kleriker werden wolle. Johann von Henneberg und sein Lehrer dementierten dies zwar umgehend. Doch fünf Jahre später, als Fuldaer Pläne konkrete Gestalt gewannen, schrieb der nun Siebzehnjährige aus Paris an seinen Vater: „Denn warum habe ich euch früher oft gebeten und bitte noch auf das Allerfreundlichste, dass ihr mich die (Mönchs-) Kutte noch nicht anlegen lasst, so lange, bis ich mehr gesehen habe.“ Er tauge zu nichts weniger „als zu einem Mönch... und bitte euch freundlich, nicht hinter meinem Rücken eine Zusage wegen der Kutte zu machen, … denn weder Sinn, noch Lust, noch Wille stehen mir nach einer Kutte“.

Ein halbes Jahr später trat Johann von Henneberg gleichwohl die Fuldaer Herrschaft an. ln seiner Eidesleistung gegenüber Dechant und Kapitel von Fulda verpflichtete sich der neue Koadjutor „unverzüglich und ohne weiteren Aufschub den Orden St. Benedikts im Stift Fulda anzunehmen, Profess abzulegen und die Ordenstracht anzutun“. Offenkundig war dem Fuldaer Kapitel die Abneigung des Koadjutors gegen die Mönchskutte nicht verborgen geblieben, denn diese Verpflichtung war unnötig, weil sie selbstverständlich zur Übernahme der Herrschaft in der aus dem alten Benidiktinerkloster hervorgegangenen Reichsabtei gehörte. Doch trotz dieser ausdrücklichen Festlegung blieb Johann von Henneberg über sieben Jahre das Anlegen der Mönchskutte erspart.

Erst als Anfang Mai 1529 Hartmann von Kirchberg – nominell noch immer Fuldaer Abt - in Mainz starb, wurde diese Frage wieder akut. Denn als Nachfolger auf dem Fuldaer Abtsstuhl muss er das ungeliebte Mönchsgewand anlegen. ln seiner Gewissensnot wandt er sich Johann von Henneberg an Kursachsen und damit indirekt an Luther mit der Frage, ob er sich dem Zwang beugen solle. Er legte damit sein Problem ausgerechnet dem Mann vor, der mit seinen Schriften wesentlich zur Existenzkrise des Mönchtums in der Reformationszeit beigetragen hatte. Luthers Antwort blieb zurückhaltend. Entscheidend sei die Prüfung des eigenen Gewissens, und dies sei bei hochgestellten Personen besonders schwierig, müssten sie doch auch auf ihre Reputation und ihre Versorgung achten. Wenn möglich sollte der Koadjutor seine Entscheidung aufschieben und seine Position nutzen, um die "Klostergreuel“ untergehen zu lassen. Er könne ja heimlich eine Ehefrau nehmen, „weil es doch bei den Papisten keine Schande noch Gefahr ist „Weibsbilder" zu haben.

Johann von Hennebergs Anfrage zeigt, wie sehr er zumindest in der Frage des Mönchtums mit den humanistischen und reformatorischen Überzeugungen sympathisierte. Entsprechend Luthers Rat hat er versucht, die Entscheidung hinauszuzögern. Beim Kaiser erreichte er im August einen zweijährigen Aufschub. Doch das Fuldaer Kapitel war mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Es bemühte sich, den Henneberger aus der Herrschaft zu drängen und hatte damit beinahe Erfolg. Nur dank des Eingreifens seines Vaters konnte Johann in Fulda bleiben. Ende Februar 1531 trat er dem Benediktinerorden bei. So triumphierten schließlich die politischen lnteressen des Hauses Henneberg und der Reichsabtei Fulda über die Gewissenshaltung. Doch bestand die Abneigung gegen das Mönchsgewand fort. Nur kurze Zeit nach dem Ordenseintritt bemühte sich Johann von Henneberg darum, die Reichsabtei Fulda zum Bistum erheben zu lassen. Er wollte die Mönchskutte gegen die das angesehenere Bischofsgewand eintauschen. Diese Anstrengungen lassen sich bis in das Jahr vor seinem Tod (am 5. Mai 1541)verfolgen - letztlich hatten sie aber keinen Erfolg. So wurde der Henneberger Grafensohn in dem Gewand begraben, gegen das er sich Zeit seines Lebens gesträubt hatte.

5. Toleranz und Verdrängung (Ausblick)

Mit dem Regierungsantritt Philipp Schenk zu Schweinsbergs (gewählt am 12. Mai 1541) begann eine neue Ara für die evangelischen Christen in der Reichsabtei Fulda. Zwar erfüllte der neue Abt nicht die Erwartungen, die der mächtige protestantische Nachbar Landgraf Philipp von Hessen in ihn gesetzt hatte. Unter den Vorzeichen einer katholischen Reform kam es jedoch zu einer weitgehenden Duldung der Protestanten in der Reichsabtei. Sie erreichte unter Abt Philipps zweitem Nachfolger, dem protestantisch erzogenen Wolfgang Schutzbar, genannt Milchling (r1558-1567), i hren Höhepunkt. Eine Wende dieser Tolerierung der Protestanten kündigte sich schon unter Wilhelm Hartmann von Klauer (1568-157o) an, er sandte erstmals junge Männer auf das Mainzer Jesuitenkolleg. Sein Nachfolger Balthasar von Dernbach (157o-76, 16o2-16o6) holte 1571 die Jesuiten nach Fulda. Sie sollten für eine Rekatholisierung der fast durchgängig protestantisch gesinnten Bevölkerung der Residenzstadt sorgen. Trotz des hartnäckigen Widerstands der Fuldaer Bürger, großer Teile des Adels und der benachbarten protestantischen Bevölkerung, trotz der Absetzung Balthasar von Dernbachs durch Fuldaer Ritterschaft und Würzburger Bischof (1576) hatte diese Politik langfristig Erfolg. Unter seiner zweiten Regentschaft mussten die letzten Protestanten vor allem im Süden der Reichsabtei (Hammelburg) ihre Heimat verlassen. Die Reichsabtei Fulda entwickelte sich in diesen Jahrzehnten unter heftigen politischen und juristischen Auseinandersetzungen zur Bastion des Katholizismus im protestantischem Umfeld.

Soweit mein kleiner Rückblick auf die Anfänge des Protestantismus in Fulda. Es sind nicht nur einige Jahrzehnte, die damit zu den 2oo Jahren evangelischer Geschichte in Fulda hinzukommen. Es sind auch wichtige Traditionen, die den Protestantismus schon in seinen Anfängen in Fulda auszeichnen.

- Da ist vor allem die Verbindung zum Humanismus, der wichtigsten Bildungsbewegung der frühen Neuzeit. Der evangelische Glaube ist seit seinen Anfängen eng verknüpft mit Bildung, mit Schule, Universität und wissenschaftlicher Theologie. Und so hat es Symbolcharakter, dass die evangelische Gemeinde vor 2oo Jahren in den Räumen der Alten Universität gegründet wurde.

- Da ist aber auch ein Gespür für die Unterscheidung von politischer und geistlicher Verantwortung. Das zeichnete nicht nur Luther aus, sondern auch seine Anhänger in Fulda (Adam Krafft). Und selbst die aufständischen Bauern und Bürger hatten dies-wenn auch in einer radikalen Form - auf ihre Fahnen geschrieben. Wohl gemerkt: Unterscheidung, nicht Trennung, denn auch für Luther haben die Regierenden eine geistliche Verantwortung und die Christen eine politische.

- Da ist schließlich die Betonung der Gewissensentscheidung, die in Luthers Antwort auf die Anfrage Johanns III. von Henneberg zur Frage des Ordenseintritts erkennbar wird. Protestantischer Glaube ist zuerst und vorrangig an die lnstanz des Gewissens gebunden. Und das heißt persönliche Verantwortung vor allen anderen lnstanzen wie Kirche oder Politik.

Diese evangelische Tradition, zu der eine Reihe weiterer Aspekte gehören, sind für den Protestantismus heute ein immer neu zu gestaltendes Erbe.